LAVES Logo mit Schriftzug Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit Niedersachsen klar Logo

Ausstieg aus dem Schnabelkürzen bei Puten – Empfehlungen zur Vermeidung des Auftretens von Federpicken und Kannibalismus

Ausstieg aus dem Schnabelkürzen bei PutenEmpfehlungen zur Vermeidung des Auftretens von Federpicken und Kannibalismus

(Stand: September 2019)

Der Ausstieg aus dem Schnabelkürzen ist weiterhin zentrales Thema in der konventionellen Putenhaltung. Auch wenn sich der Verzicht auf das Schnabelkürzen zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht flächendeckend realisieren lässt, zeigen bisherige Erfahrungen und Erkenntnisse aus Wissenschaft und Praxis, dass die Haltung von Puten mit intakten Schnäbeln unter bestimmten Voraussetzungen gelingen kann.

Beim Beschädigungspicken der Puten lassen sich drei verschiedene Formen unterscheiden. Neben dem schwerwiegenden Federpicken und dem Kannibalismus wird auch das Picken auf den Kopf (aggressives Picken), das insbesondere bei Hähnen mit einsetzender Geschlechtsreife zu beobachten ist, dem Beschädigungspicken zugeordnet. Die Ursachen für das Auftreten der Verhaltensstörungen schwerwiegendes Federpicken und Kannibalismus sind nach bisherigen Erkenntnissen in einem multifaktoriellen Geschehen aus Umweltfaktoren, Fütterung und Genetik zu sehen.

Bisheriges Vorgehen in Niedersachsen und auf Bundesebene

Im Tierschutzplan Niedersachsen (2011-2018) war der Ausstieg aus dem Schnabelkürzen bei Puten für spätestens Ende 2018 vorgesehen. Es wurden verschiedene wissenschaftliche Untersuchungen zu möglichen Einflussfaktoren auf das Auftreten von Federpicken und Kannibalismus durchgeführt, beispielsweise zur Fütterung, verschiedenen Beschäftigungsmaterialien, Licht sowie zur Besatzdichte. I.d.R. kann bei einem akuten Pickgeschehen kein einzelner Faktor als Auslöser identifiziert werden. Insbesondere Einflussfaktoren aus Haltungsumwelt, Fütterung und Management, die mit Stress für die Tiere verbunden sind, können ein Pickgeschehen auslösen. Diese multifaktorielle Genese stellt für viele Tierhalter/innen eine große Herausforderung dar. Auch wenn derzeit noch nicht flächendeckend auf den Eingriff verzichtet werden kann, hat sich in den bisherigen Untersuchungen gezeigt, dass insbesondere der Anreicherung der Haltungsumwelt durch Beschäftigungsmaterial und Strukturelementen sowie der intensiven Tierbetreuung mit schnellstmöglicher Separierung bereits leicht verletzter Tiere eine große Bedeutung zukommt. Als Hilfestellung für Tierhalter/innen wurden daher im Rahmen des Tierschutzplans die „Empfehlungen zur Vermeidung des Auftretens von Federpicken und Kannibalismus bei Puten sowie Notfallmaßnahmen“ erarbeitet, die den aktuellen Stand aus Wissenschaft und Praxis darstellen (s.u.).

Auch auf Bundesebene wurde der Verzicht auf das routinemäßige Schnabelkürzen bei Puten in einer freiwilligen Vereinbarung zwischen BMEL und dem Geflügelwirtschaftsverband ZDG e.V. vereinbart (Juli 2015). In einem stufenweisen Vorgehen sollte zunächst bis Ende 2017 die Machbarkeit geprüft werden, um dann als ersten Schritt ab 01.01.2019 auf die Einstallung von schnabelgekürzten Hennen zu verzichten. Die Evaluierung zur Machbarkeit des Verzichts auf das Schnabelkürzen ist vom FLI mit Hilfe einer Literaturstudie und praktischen Erfahrungen der Wirtschaft zusammengestellt worden. Es wurde darin geschlussfolgert, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht flächendeckend auf das Schnabelkürzen bei Puten verzichtet werden kann. Die Anreicherung der Haltungsumwelt allein reicht nicht aus, trägt aber dazu bei, das Risiko für Federpicken und Kannibalismus zu senken. Hinsichtlich der Zucht wurde gefordert, dass das Beschädigungspicken verstärkt berücksichtigt werden muss.

Die bisherigen Erfahrungen aus den auf Bundesebene im Rahmen der Initiative Tierwohl finanzierten und durchgeführten Modell- und Demonstrationsvorhaben (MuD-Vorhaben) zur Minimierung des Federpickens bei Puten (10/2016 – 09/2018) haben gezeigt, dass Früherkennung und sofortiges Einleiten von Gegenmaßnahmen entscheidende Faktoren sind. Aber auch bei intensiven Kontrollen durch die Tierhalter/innen besteht in den Betrieben ein hohes Risiko für das Auftreten von Federpicken und/oder Kannibalismus und ein Auslöser ist oft nicht eindeutig identifizierbar. Es kann zu erhöhten Tierverlusten im Bestand und verletzungsbedingt zu erhöhten Verwürfen am Schlachthof kommen.

Niedersächsische Empfehlungen zur Vermeidung des Auftretens von Federpicken und Kannibalismus sowie Notfallmaßnahmen

Die im Rahmen des Niedersächsischen Tierschutzplans von der (Unter-) Arbeitsgruppe Puten erarbeiteten „Empfehlungen zur Vermeidung des Auftretens von Federpicken und Kannibalismus sowie Notfallmaßnahmen“ (Stand: 17.10.2018) sind als Hilfestellung für Tierhalter/innen konzipiert, um Verhaltensstörungen vorzubeugen und in Problemfällen wirksame Notfallmaßnahmen einleiten zu können. Sie orientieren sich am aktuellen Stand der Erkenntnisse aus Wissenschaft und Praxis und stellen somit die „gute fachliche Praxis“ der Putenhaltung dar. In den Empfehlungen sind insbesondere die Einflussfaktoren aus Haltungsumwelt, Fütterung und Management aufgegriffen, die bei Puten zu Stresssituationen und somit zu Federpicken und Kannibalismus führen können. Die Einhaltung der Empfehlungen gibt allerdings keine Garantie dafür, dass es zu keinerlei Pickgeschehen im Bestand kommt; es gilt, das Risiko für das Auftreten von Verhaltensstörungen insgesamt zu minimieren! Sobald neue Ergebnisse und Erkenntnisse aus Wissenschaft und Praxis vorliegen, sollen diese in die Empfehlungen aufgenommen werden („Living document“).

Nachfolgend werden einige Inhalte der Empfehlungen beispielhaft aufgeführt:

Zusätzlich zur lockeren, trockenen Einstreu muss den Puten jederzeit geeignetes, manipulierbares Beschäftigungsmaterial zur Verfügung stehen, damit die Tiere ihr arteigenes Verhalten wie Picken und Erkunden ausleben können und sie dauerhaft beschäftigt sind. Die Materialien dürfen zu keinerlei gesundheitlichen Beeinträchtigungen bei den Puten führen. Geeignet sind beispielsweise Heu und Stroh, das in Körben, Netzen oder als Ballen angeboten wird. Auch Strohballen, die gleichzeitig als Strukturelement dienen, sind für die Tiere dauerhaft interessant. Beim Angebot von Stroh oder Heu muss den Tieren zusätzlich Grit angeboten werden, um einer Magenverstopfung vorzubeugen. Pickblöcke sowie Körner in Futterspendern können ebenfalls der Beschäftigung dienen. Empfohlen wird das Angebot von mindestens einem Beschäftigungsmaterial pro 400 – 500 Tiere. Sobald die Materialien verbraucht oder für die Puten nicht mehr interessant sind, müssen sie ersetzt, nachgefüllt oder ausgetauscht werden. Dies setzt eine intensive Tierbeobachtung voraus.

Da bei Puten erste Pickgeschehen und Kannibalismus auch schon in der Aufzuchtphase beobachtet werden können, muss das Beschäftigungsmaterial bereits frühzeitig angeboten werden.

Bei ersten Anzeichen eines akuten Pick- und / oder Kannibalismusgeschehen muss zusätzliches Beschäftigungsmaterial eingebracht werden, um die Tiere abzulenken. Dazu können die bereits oben genannten Materialien oder auch andere – wie z.B. Ballschnüre, sog. Kabelbinderflaschen oder bereits häufig gewaschene Altkleider – genutzt werden. Auch hier gilt, dass die eingebrachten Materialien aus Sicht der Lebensmittelhygiene und des Futtermittelrechtes unbedenklich sein müssen. Wichtig ist, die Tiere genau zu beobachten. Sobald keine Ablenkung mehr durch das eingesetzte Beschäftigungsmaterial erfolgt, muss es durch ein anderes ersetzt werden.

Auch eine geeignete Strukturierung des Stalles kann zur Beschäftigung der Tiere beitragen. In verschiedenen Untersuchungen haben sich beispielsweise (Quader-) Strohballen als geeignetes Strukturelement erwiesen. Die Puten nutzen die Ballen als Sichtschutz, zum Aufbaumen und können diese bepicken und erkunden. Insbesondere Puten, die bereits von Artgenossen bepickt und verfolgt werden, hilft eine strukturierte Haltungsumwelt, um den pickenden Tieren auszuweichen. Aber auch erhöhte Ebenen oder Unterschlupfmöglichkeiten durch schräg an die Wand gestellte „Bretter“ können den Tieren Rückzugsmöglichkeiten bieten.

Die Haltung von Puten mit intakten Schnäbeln erfordert eine intensive Tierbetreuung und -beobachtung. Jede Änderung des Verhaltens und auch des Erscheinungsbildes muss vom Tierhalter sofort erkannt werden, damit möglichst schnell und gezielt gegengesteuert werden kann. Dazu ist es notwendig, die gesamte Herde mindestens 3- bis 4-mal pro Tag in Augenschein zu nehmen. Bei einem akuten Kannibalismusgeschehen sollte die Herdenkontrolle noch häufiger durchgeführt werden. Insbesondere sind auf Stallbereiche an den Außenwänden und in den Ecken sowie unter Futter- und Tränkeeinrichtungen zu achten, da sich kranke und verletzte Tiere bevorzugt dorthin zurückziehen. Ein Kannibalismusgeschehen kann nur dann in Grenzen gehalten werden, wenn es frühzeitig erkannt und umgehend Gegenmaßnahmen ergriffen werden.

Die einzuleitenden Gegenmaßnahmen bestehen üblicherweise darin, dass verletzte Tiere unverzüglich separiert und weiter versorgt werden. Das kann bei gering- bis mittelgradigen Verletzungen eine medizinische Behandlung z.B. mit abdeckendem Spray und Schmerzmittelgabe beinhalten. Bei sehr schweren Verletzungen ist u.U. auch das sofortige Betäuben und Töten der Tiere erforderlich. Des Weiteren ist unverzüglich zusätzliches, geeignetes Beschäftigungsmaterial einzubringen, welches die Puten ablenkt. Auch das Einbringen von frischem bzw. das Durcharbeiten des vorhandenen Einstreumaterials kann zur Ablenkung beitragen. Parallel ist die Tierbeobachtung in jedem Fall zu intensivieren. Die vorübergehende Verabreichung von Kochsalz (NaCl), Magnesium oder Elektrolyten über das Tränkwasser bzw. das Futter werden als hilfreiche Maßnahme beschrieben, sie sollte aber immer nur in Absprache mit dem betreuenden Tierarzt erfolgen.

Rechtliche Grundlagen zum Schnabelkürzen bei Puten

In Niedersachsen kann das Schnabelkürzen bei Puten in der Brüterei zunächst weiterhin durch die zuständige Behörde erlaubt werden. Die Erlaubnis darf nur erteilt werden, wenn glaubhaft dargelegt wird, dass der Eingriff im Hinblick auf die vorgesehene Nutzung zum Schutz der Tiere unerlässlich ist (vgl. RdErl. d. ML v. 14.03.2019). Die Unerlässlichkeit ist nur dann gegeben, wenn nach derzeitigem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse und feststehenden praktischen Erfahrungen bekannte, für Federpicken und Kannibalismus (mit) ursächliche Faktoren soweit wie möglich ausgeschlossen worden sind, aber dennoch die Gefahr des Auftretens dieser Verhaltensstörungen besteht und der damit verbundenen Schmerz-, Leidens- und Schadenszufügung der Tiere untereinander nicht anders begegnet werden kann.

Der Nachweis der Unerlässlichkeit gilt demnach als gegeben, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

  • Die „Niedersächsischen Empfehlungen“ werden als Haltungsstandard eingehalten

  • Alle Putenhalter/innen nehmen an einer vom Niedersächsischen Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (ML) anerkannten Schulungsveranstaltung zu den Inhalten der „Empfehlungen“ teil (Nachweis bis spätestens 31.12.2020)

  • Im Tierbestand werden bei den noch kupierten Tieren auftretende Pickverletzungen erfasst und dokumentiert, d.h. es wird die Anzahl der Tiere erfasst und dokumentiert, die aufgrund von Pickverletzungen separiert oder getötet werden mussten oder die aus diesem Grund verendet sind

Parallel dazu sind bei ersten Anzeichen von Federpicken und Kannibalismus unverzüglich Schritte zur Ermittlung der Ursachen und Abhilfemaßnahmen einzuleiten, um den Eingriff langfristig entbehrlich zu machen. Dies bezieht sich einerseits auf Notfallmaßnahmen, die bei einem akuten Pickgeschehen einzuleiten sind. Zum anderen gilt es, Haltungsumwelt und Management zu optimieren, um ursächliche Faktoren soweit wie möglich auszuschließen.

Weiterhin ist ab spätestens 01.03.2020 beim Kürzen der Schnabelspitze ein Schmerzmittel (nicht-steroidales Antiphlogistikum) zu verabreichen (i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 6 TierSchG).

Fazit und Ausblick

Das Ziel, auch bei Puten auf den Eingriff Schnabelkürzen zu verzichten, wird sowohl in Niedersachsen als auch auf Bundesebene weiterhin verfolgt. Auch wenn der Verzicht zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht flächendeckend möglich ist, zeigen wissenschaftliche Untersuchungen und Praxiserfahrungen, dass die Haltung von Puten mit intakten Schnäbeln gelingen kann; die Tierverluste sind in unkupierten Herden nicht zwangsläufig höher als in Herden mit kupierten Tieren. Neben einer optimierten Haltungsumwelt (u.a. Anreicherung durch Strukturelemente und Beschäftigungsmöglichkeiten) kommt insbesondere der intensiven Tierbeobachtung und -betreuung eine große Bedeutung zu. Beim Auftreten von Federpicken und/oder Kannibalismus muss sofort gegengesteuert und mit zusätzlichem, geeignetem Beschäftigungsmaterial für Ablenkung gesorgt werden. Verletzte Tiere müssen unverzüglich separiert und versorgt werden. Dies setzt eine gute Sachkunde und Sensibilität der betreuenden Personen voraus! Tierhalter/innen kann daher nur empfohlen werden, mit einer kleinen Gruppe/Herde von unkupierten Tieren Erfahrungen zu sammeln und sich so an die Thematik heran zu tasten.

Die vollständigen „Empfehlungen zur Vermeidung von Federpicken und Kannibalismus bei Puten“ (Stand: 2018) stehen als Download in der Infospalte zur Verfügung.

  Bildrechte: LAVES Tierschutzdienst

Puten mit Heuraufe

Die im Rahmen des Tierschutzplans Niedersachsen von der AG Puten einvernehmlich verabschiedeten Empfehlungen für Putenhalter/innen stehen hier als Download bereit:

  Empfehlungen zur Vermeidung des Auftretens von Federpicken und Kannibalismus bei Puten
(PDF, 7,92 MB)

zum Seitenanfang
zur mobilen Ansicht wechseln