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Klimawandel und "neue" Tierseuchen

Der Klimawandel ist momentan nicht nur in jedermanns Munde, sondern wird auch als Fakt angesehen. So werden die trockenen Sommer, die extremen Wintertemperaturen und hohe Niederschlagsmengen und andere Phänomene mit einer Klimaveränderung begründet. Auch in der Tierseuchenbekämpfung fängt man an, sich auf "neue" bzw. bisher in unseren Breitengraden noch nicht vorhandene Tierseuchen vorzubereiten. Während sich in der Vergangenheit eine Tierseuche je nach Kontagiosität (= Wahrscheinlichkeit der Krankheitsübertragung) mehr oder weniger langsam ausgebreitet hat und natürliche Grenzen oftmals ein großes Hindernis für die Tierseuche darstellten, beobachtet man in der neueren Vergangenheit häufiger eine sprunghaftes Ausbreitung einer Tierseuche. Bei Betrachtung der weltweiten Seuchensituation wird deutlich, dass sich Europa aufgrund folgender Aspekte auf bisher in unseren Breitengraden noch nicht "heimischen" Seuchen vorbereiten muss:

  1. Klimaveränderung
  2. zunehmender internationaler Handel und Tourismus aufgrund der Globalisierung
  3. Seuchenerregeretablierung in oder durch einen neuen Vektor

Diese drei Aspekte dürfen nicht jeweils für sich isoliert, sondern müssen in Kombination miteinander betrachtet werden.

1. Klimaveränderung

Die stattfindende Klimaveränderung führt dazu, dass sich z.B. Insekten und Spinnentiere (inkl. Milben) neue Ausbreitungsgebiete erschließen. Da gerade Insekten und Milben aber als Träger (Vektor) von Seuchenerregern fungieren, verändert sich mit der Veränderung der Vektorverbreitungsgebiete auch das potentielle Seuchengebiet. Dieser Umstand bekommt eine umso größere Bedeutung, wenn sich der Vektor über eine bisher natürliche Grenze hinaus ausbreitet. Dieses ist sehr gut an dem Beispiel des Ausbreitungsgebietes von Culicoides imicola (Vektor z. B. für das Virus der Blauzungenkrankheit oder der Afrikanischen Pferdepest (African Horse Sickness)) nachzuvollziehen. In der Vergangenheit konnte sich C. imicola nicht auf dem europäischen Kontinent etablieren und das Mittelmeer

Ausbreitungsgebiet Culicoides imicola   Bildrechte: Abb. 1: The World Organisation for Animal Health (OIE)
Abb. 1 aus "Invasion of bluetongue and other orbivirus infections into Europe: the rule of biological and climatic processes", Purse et al., 2008

stellte eine natürliche Barriere dar. Wie der Abbildung 1 zu entnehmen ist, erstreckt sich neuerdings das Ausbreitungsgebiet von C. imicola über das Mittelmeer hinaus bis nach Südeuropa. Damit konnte sich in Südeuropa ein Vektor von Krankheitserregern etablieren, die dort bisher nicht bzw. nur selten aufgetreten sind.

2. Globalisierung

Der zunehmende internationale Tierhandel beinhaltet das Risiko, dass Tiere, die einen Krankheitserreger in sich tragen, aber (noch) keine Anzeichen einer Erkrankung zeigen, den Erreger in ein neues Gebiet eintragen. Das Verschleppen eines Erregers muss jedoch nicht nur über das Tier, sondern kann ebenso über den Menschen erfolgen. So ist z.B. der Erreger der "Afrikanischen Schweinepest" evtl. in Lebensmitteln enthalten, die von erkrankten Tieren stammen. Wird ein derartiges Lebensmittel (z.B. die mitgebrachte Wurst) in Deutschland an ein empfängliches Tier verfüttert, so wäre die Tierseuche durch die Unachtsamkeit eines einzelnen Menschen innerhalb kürzester Zeit über viele hundert Kilometer verschleppt worden.
Ein Beispiel für eine Seuche, die aufgrund des internationalen Verkehrs neu in ein Land eingeschleppt wurde, ist das West-Nil-Virus (Informationen zu der West-Nil-Erkrankung erhalten Sie hier). Das Virus wurde vermutlich durch infizierte Vektoren in die Nähe von New York/USA eingeschleppt. Das West-Nil-Virus konnte sich dort nicht nur etablieren, sondern breitete sich innerhalb kurzer Zeit über die gesamte USA aus (s. Abb. 2. a-c).

Abb. 2 a: Einschleppung des West-Nil-Virus in die USA 1999 Bildrechte: Abb. 2 a-c: Centers for Disease Control and Prevention (CDC)
Abb. 2 a: Einschleppung des West-Nil-Virus in die USA 1999
Abb. 2 b: Einschleppung des West-Nil-Virus in die USA 2001
Abb. 2 b: Einschleppung des West-Nil-Virus in die USA 2001
Abb. 2 c: Einschleppung des West-Nil-Virus in die USA 2006
Abb. 2 c: Einschleppung des West-Nil-Virus in die USA 2006

Eine weitere Erkrankung, die bei uns "vor der Tür steht" und jederzeit eingeschleppt werden kann, ist die "Pest der kleinen Wiederkäuer".

Im Bereich der Kleintiere scheint der Tourismus und der Import von Hunden und Katzen aus den südlichen Ländern nach Deutschland dazu zu führen, dass Erkrankungen wie die Babesiose und Leishmaniose in Deutschland vermehrt auftreten.

3. Seuchenerregeretablierung in einem neuen Vektor

Es gibt Krankheitserreger, die sich nicht direkt von Tier zu Tier verbreiten, sondern die für die Verbreitung einen Überträger (Vektor), wie zum Beispiel Mücken oder Zecken, benötigen. Dieses trifft unter anderem auf die Blauzungenkrankheit, West-Nil-Fieber, Afrikanische Pferdepest (African Horse Sickness), Borrelliose, Babesiose oder Leishmaniose zu. Findet der Krankheitserreger neue kompetente Vektoren, so erschließt er sich auch das zu diesem Vektor gehörende Verbreitungsgebiet als neues potentielles "Seuchengebiet". Dieses kann an der Ausbreitung der Blauzungenerkrankung verdeutlicht werden: Das Blauzungenvirus war lange Zeit primär auf dem afrikanischen Kontinent heimisch, da es für die Verbreitung die Gnitze C. imicola benötigte. Aufgrund des Verbreitungsgebietes dieser Gnitze hätte sich das Virus nicht in Nordeuropa etablieren dürfen. (s. Abbildung 1). Die Verbreitung der Blauzungenerkrankung in Nordeuropa in den Jahren 2007 – 2009 zeigt jedoch, dass das Virus mit C. obsoletus einen neuen kompetenten Vektor und somit auch ein neues Ausbreitungsgebiet gefunden hat. Da der Erreger auf diese Weise auf Tiere trifft, die sich noch niemals mit diesem Erreger auseinandersetzen und somit keinerlei Abwehrstoffe gegen diesen Erreger bilden konnte, ist die Erkrankungsintensität besonders hoch.

Blauzungenfälle in Deutschland

Die Tatsache, dass sich das Blauzungenvirus nicht mehr nur über C. imicola, sondern jetzt auch über die C. obsoletus-Gruppe verbreiten kann, bekommt auch in Hinsicht auf eine andere gefährliche Seuche, der Afrikanischen Pferdepest, eine besondere Bedeutung. Denn das Virus der Afrikanischen Pferdepest hat ebenfalls C. imicola als Hauptvektor. Es wurde zwischenzeitlich jedoch auch schon aus C. obsoletus isoliert. Sollte das Virus über C. obsoletus nach Nordeuropa eingeschleppt werden, so hätte das verheerende Folgen für die hiesigen Pferdebestände. Denn die Region Niederlande, Belgien, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen stellen zusammen wohl die pferdereichste Region der Welt dar, so dass das Virus bei einer Einschleppung auf viele vollempfängliche Tiere treffen würde.

Die Kombination der eben beschriebenen Möglichkeiten, weshalb sich Erreger bzw. Erkrankungen in Bereichen ausbreiten, die bisher als davon frei galten, macht deutlich, dass eine Vorhersage ob und wann eine Tierseuche in bestimmten Bereichen auftreten könnte, kaum möglich ist.

Während sich die Klimaveränderung sicherlich langsam vollziehen wird, bringt uns insbesondere die Globalisierung mit der damit verbundenen Erregerverschleppung in der Kombination mit der Möglichkeit, dass der Erreger einen neuen, dort einheimischen Vektor findet, in die Situation, dass wir stets auch in unseren Breitengraden mit "exotischen" Tierseuchen rechnen müssen.

Aufgrund dieser Tatsache ist der verantwortungsvolle Umgang mit potentiellen Trägern von Tierseuchenerregern Pflicht. Dieses ist nicht nur beim Handel mit Tieren, sondern ebenso bei der Einfuhr Lebensmitteln (auch die mitgebrachte Wurst aus dem Auslandsurlaub) oder beim Mitbringen von Hunden oder Katzen aus dem Ausland zu beachten.

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