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Untersuchung von Mutterkornalkaloiden in Getreideerzeugnissen

Als „Mutterkorn“ (Claviceps purpurea) wird ein parasitärer Pilz bezeichnet, der verstärkt in feuchten Jahren auf Getreideähren, vor allem bei Roggen, vorkommen kann. Dieser Pilz produziert giftige Alkaloide, die nach oraler Aufnahme akute Symptome wie Übelkeit, Bauchschmerzen, Kontraktionen der glatten Muskulatur, Kopfschmerzen und Herz-Kreislaufprobleme auslösen können. An Ver­giftungen durch so verunreinigtes Getreide starben im Mittelalter Hunderttausende von Menschen („St.-Antonius-Feuer“).


Am Lebensmittel- und Veterinärinstitut Braunschweig/Hannover (Standort Braunschweig) des LAVES, werden Getreide und Getreideprodukte auf den Gehalt an Mutterkornalkaloiden untersucht.

Problematik

Mutterkorn ist botanisch gesehen die Überwinterungsform (Dauermycel) des Pilzes Claviceps purpurea, der auf den Fruchtknoten von Wildgräsern aber auch auf einheimischen Getreide­arten wächst und dort das sogenannte Sklerotium ausbildet.

Mutterkorn kann auf allen Böden gefunden werden, auf denen Getreide angebaut wird. Besonders gefördert wird die Infektion durch die Anwesenheit von Wildgräsern in angrenzenden Grünstreifen. Aber auch die Fruchtfolge (z.B. jährlicher Wechsel von Roggen und Kartoffeln) hat einen großen Einfluss auf die Ausbreitung von Mutterkorn.

Bevorzugte Wirtspflanzen des Getreides sind Roggen - vor allem Hybridroggen - und Triticale. Aber auch Hartweizen und Dinkel sowie seltener Weichweizen, Gerste und Hafer werden infiziert. Die besonders hohe Anfälligkeit des Roggens ist damit zu erklären, dass er im Gegensatz zu den Selbstbestäubern Weizen und Gerste eine Fremdbestäubung zur Fruchtbildung benötigt und dafür die Blüten wesentlich länger geöffnet hält. Dadurch kann es vor allem in nassen Jahren und bei niederliegenden Halmen während der Blüte zu einer Infektion kommen.

Bei feucht-kühler Witterung keimen zur Zeit der Getreideblüte die im Boden überwinterten Mutterkörner und setzen Ascosporen frei, die durch Wind und Tiere in den Fruchtknoten der Wirtspflanzen gelangen und diesen durchwachsen (Primärinfektion). Die Nebenfruchtform bewirkt in der Pflanze die Sekretion des klebrigen, stark Zucker- und Sporen­haltigen „Honigtaus“, der durch Insekten, Regen und Wind auf andere Pflanzen übertragen werden kann (Sekundärinfektion). Im Verlauf der vegetativen Phase entwickelt sich innerhalb weniger Wochen aus diesen Konidiosporen das schwarz-violett gefärbte Mutterkorn. Während der Ernte oder durch andere mechanische Einwirkungen kann das Dauermycel zu Boden fallen und dort überwintern.

Lebensmitteltoxikologisch relevant sind die Mutterkörner vor allem durch ihren Gehalt an Ergotalkaloiden, wie z. B. Ergotamin und Ergometrin. Das Wirkungsspektrum der Mutter­korn­alkaloide ist komplex, uneinheitlich und noch nicht vollständig aufgeklärt. In der Medizin finden sie u.a. Anwendung bei der Behandlung von Blutungen, Migräne und zur Einleitung von Wehen. Da im Mittelalter diese Zusammenhänge noch nicht klar waren, kam es meistens nach Missernten durch Verwendung mutterkornhaltigen Getreides zu Vergiftungen und Todesfällen. Die unerträglichen Schmerzen gingen als "St. Antonius-Feuer" in die Geschichtsschreibung und Kunsthistorie ein.

In Deutschland spielte bis in die 80er Jahre das Mutterkorn im Roggenanbau keine Rolle mehr. Erst der Anbau neuer Roggensorten, wie des hochempfänglichen Hybridroggens und der Roggen-Weizen-Kreuzung Triticale führte erneut zu ansteigenden Befall mit Claviceps purpurea. Auch der zunehmende Anteil natürlich belassener Ackerränder, der Verzicht auf wendende Bodenbearbeitung und der Einsatz von Wachstumsreglern, die blühverzögernd auf das Getreide wirken, können das Risiko einer Infektion erhöhen.

In seinen Fragen und Antworten zu Ergotalkaloiden in Getreideerzeugnissen vom 12.11.2013 erklärt das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) [1], dass aus Gründen des vorsorgenden Verbraucher­schutzes Getreide weitestgehend frei von Mutterkorn zur Verarbeitung bzw. an den Verbraucher gelangen sollte. Alle verfügbaren technologischen Möglichkeiten müssen genutzt werden, um dies zu erreichen.

Durch moderne Sortierungstechniken in den Mühlen können Sklerotien gezielt aussortiert werden. Allerdings kann es unter bestimmten Umständen, z.B. durch klimatische Bedingungen wie Dürre­perioden, zu einer Veränderung der Form bzw. der Farbe des Mutterkorns kommen. Auf Grund dieser Veränderungen kann das Mutterkorn den Routinetechniken zur Reinigung entgehen. Erhöhte Gehalte an Ergotalkaloiden in Getreideerzeugnissen können die Folge sein.

Grundsätzlich ist nach der "Guten landwirtschaftlichen Praxis" dafür Sorge zu tragen, dass der Mutterkornanteil auf das geringst mögliche Maß gesenkt wird.


Verbraucherrisiko

Durch den Einsatz moderner Techniken in den Großmühlen zur Aussortierung der Sklerotien im Erntegut nach Form, Größe, spezifischem Gewicht und Farbe kommen Mutterkorn­vergiftungen heutzutage in Deutschland sehr selten vor.

Roggenfeld Bildrechte: © jd-photodesign - Fotolia.com

Pressemeldungen über erhöhte Mutterkorngehalte in der Getreideernte von 2003 zeigten jedoch, dass die Problematik weiterhin besteht. Dies ist unter anderem auch darauf zurückzuführen, dass aus Unwissenheit oder Kostengründen nicht immer die passende Mühlentechnik eingesetzt wird. So wichen infolge des extrem heißen Sommers im Erntejahr 2003 die Sklerotien in Form und Farbe weniger als sonst von den Getreidekörnern ab; die Mühlen mussten zu ihrer Entfernung daher größere Anstrengungen als üblich unternehmen.

Bereits ein Prozent Mutterkorn im Brot werden als toxisch, sieben bis acht Prozent als lebensgefährlich und fünf bis zehn Gramm frisches Mutterkorn in Abhängigkeit vom Alkaloid-Gehalt als tödlich eingestuft. Allerdings vermindert sich der Gehalt der toxischen Inhaltstoffe, im Gegensatz zu den meisten anderen Mykotoxinen, bereits durch Lagerung und Weiterverarbeitung. Der Backprozess selbst kann den Gehalt an Ergotalkaloiden nochmals um die Hälfte senken.

Da Mutterkörner direkt nach der Ernte den höchsten Wirkstoffgehalt – je nach Herkunft 0,05 – 1 % Gesamtalkaloide - aufweisen, sollte ungereinigtes, frisch gemahlenes Getreide nicht verzehrt werden. Zwar können die schwarz-violetten Sklerotien aufgrund ihres typischen Aussehens, wenn sie ganz oder in Bruchstücken in Müsli- und Körnermischungen, Schroten und Broten enthalten sind, auch noch im Haushalt aussortiert werden; es wird jedoch von dem Genuss deutlich verunreinigter Produkte abgeraten.


Recht

Weder in Deutschland noch in Europa gibt es für Mutterkorn in Lebensmitteln direkt geltende Höchstmengenregelungen. Allerdings werden in der Verordnung (EU) Nr. 1272/2009[2]der Kommission vom 11.12.2009 hinsichtlich des An- und Verkaufs von landwirt­schaftlichen Erzeugnissen im Rahmen der öffentlichen Intervention gemäß Art. 7 Abs.1 i.V.m. Anhang I Mindest­qualitätskriterien für die Interventionsfähigkeit von Getreide gestellt. Demnach darf der Höchstanteil an Mutterkorn bei Hart- und Weichweizen den Wert von 0,05 % nicht überschreiten. Die Qualität von Roggen ist hier nicht mehr explizit aufgeführt (Abschaffung der Roggenintervention seit dem Getreidewirtschaftsjahr 2004/2005), wird allerdings auch weiterhin im Rahmen der „Guten landwirtschaftlichen Praxis" als Beurteilungsgrundlage herangezogen.

Für Futtermittel gilt gemäß der Richtlinie 2002/32/EG [3] über unerwünschte Stoffe in der Tierer­nährung vom 07.05.2002 ein Höchstgehalt von 0,1 % für alle Futtermittel, die ungemahlenes Getreide enthalten.

Die Menge der Mutterkornsklerotien in den kontaminierten Produkten korreliert jedoch nicht mit einem bestimmten Alkaloid-Gehalt. Sklerotien können zwischen 0,05 - 1 % Alkaloide enthalten, bei einem Mittelwert von etwa 0,2 %. Dabei unterliegen sowohl der Gesamtalkaloidgehalt als auch die Anteile der einzelnen Alkaloide starken Schwankungen, abhängig vom produzierenden Pilzstamm, den klimatischen Bedingungen und der Wirtspflanze.

Rein rechnerisch ergibt sich bei einem 0,05 %igem Befall mit einem mittleren Alkaloidgehalt von 0,2 % eine Toleranz­grenze von 1000 µg Ergotalkaloide pro kg Getreide.

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat in diesem Zusammenhang im Jahr 2012 [4] erstmalig in einer Stellungnahme zu Ergotalkaloiden in Lebensmitteln und Futtermitteln sowohl eine täglich duldbare Aufnahmemenge (tolerable daily intake, TDI) von 0,6 μg/kg Körper­gewicht als auch eine akute Referenzdosis (ARfD) in Höhe von 1 μg/kg Körpergewicht als einmalige maximale Aufnahmemenge pro Tag abgeleitet.

Zur Absicherung der Datenlage hat die Europäische Kommission eine Empfehlung zum Monitoring von Mutterkorn-Alkaloiden in Futtermitteln und Lebensmitteln (2012/154/EU vom 15.03.2012 [5]) abgegeben. Demnach soll das Vor­kommen von Ergotalkaloiden bei Getreide und Getreide­erzeugnissen, die zum menschlichen Verzehr oder zur Verfütterung an Tiere bestimmt sind, überwacht werden. Untersucht werden sollen vor allem die sechs wichtigsten Alkaloide Ergometrin, Ergotamin, Ergosin, Ergocristin, Ergocryptin und Ergocornin sowie deren Epimere.

Entsprechend dieser Empfehlung wurde die Untersuchung von Ergotalkaloide in Brot und Backmischungen als Projekt in den Monitoringplan des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) für das Jahr 2013 [6] aufgenommen. Dabei wurden 163 Back­mischungen / Mehle und 202 Brote mit Roggenanteil untersucht. Der Anteil an Proben roggenhaltiger Backmischungen / Mehle und daraus gebackener Brote, die quantifizierbare Gehalte an Ergotalkaloiden aufwiesen, lag bei etwa 40 % bzw. 30 %, wobei die Gehalte aber nicht notwendigerweise mit den Roggen-Anteilen in den untersuchten Backmischungen / Mehlen bzw. Broten korrelierten. Die Ergebnisse des Monitoring-Projektes waren deutlich von einzelnen stärker kontaminierten Proben beeinflusst. Der maximale Gesamtalkaloid-Gehalt betrug bei Back­mischungen / Mehlen 830 µg/kg und bei Broten 265 µg/kg. Die 90. Perzentile der Gesamtalkaloid-Gehalte lagen für Backmischungen/Mehle bei 131 µg/kg und für Brote bei 49 µg/kg.

In seiner Stellungnahme Nr. 024/2013 (7.11.2012, aktualisiert am 28.08.2013 [7]) bewertet das BfR Einzelwerte von Roggenmehl und -brot und empfiehlt die Einhaltung der von der EFSA genannten gesundheitsbezogenen Richtwerte (ARfD und TDI). Die Erhebung weiterer Daten soll die Risiko­bewertung präzisieren.

In Ermangelung rechtlich bindender Vorgaben werden derzeit, in Anlehnung an den Beschluss der ALB (LAV-Arbeitsgruppe "Lebensmittel, Bedarfsgegenstände, Wein und Kosmetika") aus der 22. Sitzung vom 27./28.09.2012, Getreide / Mehle mit einem Gesamtalkaloidgehalt zwischen 1000 und 2300 µg/kg als nicht sicheres Lebensmittel im Sinne von Art. 14 Abs.1 i.V.m. Abs. 2b und 5 (für den menschlichen Verzehr ungeeignet) der VO (EG) 178/2002 [8] und Getreide / Mehle mit einem Gesamtalkaloidgehalt über 2300 µg/kg als nicht sicheres Lebensmittel im Sinne von Art. 14 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2a (gesundheitsschädlich) der VO (EG) 178/2002 beurteilt.


HPLC-Messplatz  
HPLC-Messplatz

Nachweis

Durch Auslesen und Auswiegen von Sklerotien und deren Bruchstücken lässt sich der Mutterkornanteil der betroffenen Produkte ermitteln. Wo dies aufgrund des Verarbeitungszustandes nicht mehr möglich ist, wird zunehmend der Alkaloid-Gehalt zur Beurteilung bestimmt. Hierfür wird die Hochleistungsflüssigchromatographie (HPLC), klassischer Weise in Verbindung mit einer Fluoreszens­detektion eingesetzt.

Zunehmend findet auch die Kombination mit der Massenspektrometrie (HPLC/MS und HPLC/MS-MS) Anwendung.

Untersucht werden meist die sechs wichtigsten Ergotalkaloide Ergometrin, Ergotamin, Ergosin, Ergocristin, Ergocryptin und Ergocornin sowie deren Epimere.

Eigene Untersuchungen

Am Lebensmittel- und Veterinärinstitut Braunschweig/Hannover (Standort Braunschweig) des LAVES, wurden im Fachbereich für Analytik organischer Stoffe und Kontaminanten seit 2011 über 160 Proben auf Mutterkornalkaloide untersucht. Schwerpunkt war dabei die Untersuchung von Roggen- und roggenhaltigen Mehlen, aber auch Getreidekörner und Brote wurden betrachtet. Die Proben stammten aus Bio- und Naturkostläden, Reformhäusern, Bäckereien, Großbäckereien, Supermärkten und Mühlen.

Bei den 104 untersuchten Mehlen konnten bei 47 Proben (45 %) Ergotalkaloide nachgewiesen werden, meist mit einem Gehalt von unter 250 µg/kg (91 %). Lediglich zwei Proben enthielten mehr als 1000 µg/kg Mutterkornalkaloide. Sowohl die Getreidekörner als auch die fertigen Brote waren durchweg gering belastet. Von 63 Proben wurden 10 positiv auf Ergotalkaloide getestet (16 %). Der Höchstgehalt lag bei 72 µg/kg.

Die Untersuchungen haben gezeigt, dass Getreide und Getreideerzeugnisse den Toleranzwert für den Gehalt an Mutterkornalkaloiden einhalten können. Es konnte dabei kein signifikanter Unterschied zwischen konventionell und alternativ erzeugten Produkten festgestellt werden.

Roggenähre mit Sklerotium (Mutterkorn)   Bildrechte: © Michael Tieck - Fotolia.com

Roggenähren mit Sklerotien (Mutterkorn)

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